Lachend durch Novosibirsk

Laughing in Novosibirsk

5.9.19

Und wieder ist ein Traumtag vergangen. Nach einer langen Nacht – dieses Mal hatten wir je ein Zimmer zur Einzelnutzung, es war herrlich – bedienten wir uns gegen 11 Uhr morgens am reichhaltigen Frühstücksbuffet. Wie üblich in Russland gab es Würste und Bouillon und was sonst noch nicht zu unserem Frühstück passt, im Überfluss, nur mit frischen Früchten halten sie sich sehr zurück. Danach hingen wir noch eine Weile bei einer Tasse Tee rum und zumindest ich erfreute mich zum wiederholten Male daran, dass die Russen uns Ausländer so freundlich bedienen, wenn sie nur merken, dass man sich etwas bemüht. Das hat mir mein Vater von den Franzosen nach dem Krieg erzählt, er hätte mit wenig Französisch alles bekommen. Ich habe das Gefühl, das ist auch bei andern Nationen so. Mir auf jeden Fall passiert es immer wieder und russisch spreche ich nun wirklich nicht mehr als 10 Worte! Danach machten wir uns dann bei frühlingshaften Temperaturen auf, das sonnige Novosibirsk zu erkunden.

Dimitri motzte noch nicht einmal, als ich ein Käsebrett mit Besteck in einem kitschigen, kleinen, russischen Laden kaufte, aber die russische Liebe zur Verzierung erwärmt halt einfach mein Herz! Nach dem Kauf von Strepsil und dem ersten Stoss Otrivin fühlte er sich wie neugeboren und kam wieder voll ins Element mit seinen Witzchen, die man nur verkraftet, wenn man sich einige Jahre daran gewöhnt hat – oder eben 3 Jahrzehnte! Sein verschmitzter Charme, den er schon als kleiner Bube hatte, lässt einen über die saublödesten Bemerkungen hinweghören. Er hat an der sibirischen Sonne sogar schon einige Arbeitstitel für seine Bücher (die natürlich ich schreiben muss!) gefunden: «Mit dem Zug von der Schweiz nach Nordkorea» (schon fast langweilig einfach), «How to travel Russia with 100 rubels», «die Leiden des jungen Strub» sind die bisherigen Vorschläge. Ich könnte dann noch eins dazu schreiben «die treffendsten Witze des Herrn Dimitri». Ein Beispiel gefällig? «In der Schweiz würden die Leute jetzt denken, ich sei ein Zivi, der mit einer Dame aus dem Altersheim einen Herbstspaziergang macht». Oder wenn ich sage: «ist wirklich sehr schön mit dir Dimi», antwortet er: «ja, das finde ich auch, dass es mit mir schön ist!» Ja, wir haben es sehr witzig zusammen und mich reut bisher kein Franken, den ich ausgegeben habe, um meinem Söhnchen persönlich zum 30. Geburtstag zu gratulieren.

Nun, aber zu Novosibirsk. Schön ist es nicht, auch wenn es sehr viel Kultur anbietet. Eine Industriestadt halt, erst ca. 130 Jahre alt und von Sowjetbauten geprägt. Aber auf den Plätzen und den farbigen Alleen sprühten sie wieder vor Lebensfreude. Ein Genuss, den schlendernden jungen Leuten zuzuschauen, die gut gekleideten, wenn auch nicht in unserem Stil, Frauen flanieren zu sehen. Wir setzten uns lange auf eine Bank und genossen, die Sonne, die Farben, die spielenden Kinder und sogar den riesigen Prospekt, eine 6-spurige Strasse mitten durch die Stadt. Natürlich war es laut und stickig, aber an einem schönen Herbsttag soll man sich keine Gedanken darüber machen, wie es wäre, wenn es regnen würde und die Temperatur 10 Grad tiefer wäre!

Dennoch, auf dem Weg zum Ob, dem riesigen sibirischen Fluss, wollte Dimi den schnellsten Weg nehmen. In einem Strassentunnel mussten wir unsere Nase und den Mund verdecken, um überhaupt noch ans andere Ende zu kommen, ohne mit einer Teerlunge zu kollabieren! Aber wir wandelten auf dem Dimitrova Prospekt. Das beflügelte ihn. Der direkte Weg zum Fluss, über 4-spurige Strassen hetzen, auf einer Böschung warten, bis wir auf die andere Seite der Strasse springen konnten etc. – ich stellte mir jeweils vor, wie das aussah für die Autofahrenden:  eine 64-jährige Babuschka, mit Kurzhaarschnitt und riesigem Rucksack springt gebückt, gefolgt von einem grinsenden jungen Iren über die Strasse. Da musste ich dann wieder so lachen, dass es eben doch noch zum Abenteuer wurde. Und am Fluss angekommen, trieb mich mein sicherer Instinkt direkt in ein wunderbares Restaurant. Wir bestellten mit Google Translator und assen wiederum herrlich. Sogar einen frischen Fruchtsalat konnte ich bestellen. Und unseren ersten Vodka in Russland tranken wir ebenfalls.

Danach bestellte Dimi ein Uber-Taxi, das einen wesentlich geradlinigeren Weg zurück ins Hotel fand, wo ich meine Abendtoilette auf dem Restaurant-WC (wo es im Pissoir sogar Crashed Ice hat, damit es besser aussieht!) machen konnte – die WCs in Russland sind allesamt sehr sauber, aber der TransSib traue ich doch nicht so ganz!

Um 20.27 h waren wir dann wieder unterwegs und da bleiben wir nun auch 34 Stunden – 2 Nächte und 1 Tag. Ich denke, es gibt kaum jemanden, die/der denkt, ich sei nicht sehr froh um die 2. Garnitur Bettwäsche für die 2. Nacht!! Aber eine Svetlana hat es auch auf diesem Zug nicht.

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6.10.19

13.00 h

Dieser Zug war doch etwas garstiger als die letzten beiden. Von der Sauberkeit her ist es wiederum kein Problem, aber man weiss ja, wie es ist, wenn etwas immer älter wird. Margarita, die Begleiterin in der Nacht,  war überaus unfreundlich, dafür läuft heute dauernd eine sehr freundliche Bedienungsfrau rum – mit grauem Kurzhaarschnitt! Im Zug ist es nicht mehr gar so heiss und in der Nacht fror ich sogar, was mal was Anderes war, als die ewige Schwitzerei. Auch auf dieser Strecke begleitet uns plappernd und weinend ein kleines Kind. Heute werden wir zum ersten Mal in den Speisewagen gehen, um nicht hungrig fürs Abendessen zu sein: wieder Chicken und Reis und Salat oder Rindsfleisch-Bällchen und Buchweizen – aus dem Alutöpfchen natürlich. Und nur das Laufen bis zum Speisewagen wird wohl gut tun, die Pritschen sind wirklich hart und wenn kein Citywalk auf dem Programm steht tagsüber oder ein weiches Bett nach einem durchgefahrenen Tag, wird’s dann schon etwas ungemütlich. Nein, ich gebe es zu, alleine könnte ich das schwerlich durchstehen, mit Dimi geht es aber sehr gut, zumal er einen gewissen Sauberkeitsstandard aufrecht erhält, sehr gut ausgerüstet ist und alles so locker nimmt. Aber er hustet noch immer die ganze Zeit und ist noch immer verschnupft und ich beschwöre seit Tagen mein Immunsystem, mich zu verschonen. Bis jetzt war es sehr folgsam, hoffentlich wird es ihm nicht zu ungemütlich! Das wäre also die Kurzfassung des Leidens auf dieser Strecke und trotzdem würde ich es wieder tun. In einem Luxuszug oder eben mit Dimi, ein etwas hochtrabender Vergleich, aber ihm wird’s gefallen!

Die Landschaft ist nun anders geworden, viele Hügel und wären da nicht die Häuser, man wähnte sich in Skandinavien. Aber die Häuschen sind wirklich sehr dürftig – ich bin überzeugt, innen sind sie sauber und freundlich – und die Wellblechdächer verraten den Standard des Haushaltes. Farbige Dächer heissen: höherer Standard, beinahe eingefallene Dächer gibt es aber wesentlich mehr. Ich stelle mir das Leben hier in der Tat nicht besonders erstrebenswert vor, aber aus solchen Umständen sind bestimmt die grossartigen Werke der russischen Literatur entstanden. Ich höre nun die ungekürzte Fassung von «Schuld und Sühne» von Dostojewski und da ist das der ideale Hintergrund.

21.00 h

– nach 6 Zeitzonen, die wir schon hinter uns haben, eigentlich 7, denn Russland hat keine Sommerzeit

Der Tag war immer sehr beschäftigt, ich bin höchstens 20 Kapitel mit «Schuld und Sühne» weiter gekommen. Um 15 h (Zeitzone von Krasnojarsk) gingen wir ins Restaurant. Unser Wagen ist derzeit nur auf 20 Grad geheizt, was besser ist als 24 Grad, aber beim Rumsitzen wird’s unangenehm kühl. Da war der helle, saubere, freundliche Restaurantwagen mit freundlicher Bedienung (graue Kurzhaarfrisur eben!!!) gerade das Richtige. Ich genehmigte mir Blinis mit Lachskaviar, Dimi hatte noch keinen Hunger, kein Wunder, er stand auch erst um 12.30 h auf. Und wir kauften eine Flasche russischen «Schampanskoie». Für die beiden Sachen zahlte Dimi dann fast die Hälfte seiner Ration für die nächste Woche – 20 Fr. Da es so angenehm und freundlich dort war, blieb ich bis 19.00 h. Da bekam ich langsam Hunger und wir assen nochmals für 20 Fr. ganz wenig Abendessen! Ja, deshalb ist der Speisewagen wohl leer und wir machten die Hälfte des heutigen Umsatzes aus! Und die eine mit grauem Kurzhaarschnitt verabschiedete sich sehr herzlich von uns. Sogar Margarita konnte ich ein «OK» abluchsen und einen etwas weniger unfreundlichen Blick, als ich 4 unangetastete Essensboxen zu ihr brachte.

Ja der Abschied: letzte Nacht im Zug. Ich werde sie mit kalten Füssen und der Hand auf der Thymusdrüse (Immunsystem!) geniessen, Dimi hat mir die Pritsche neu bezogen und so freue ich mich denn auf das Rattern der letzten Nacht. Nur 4 Tage im Zug und ich werde wieder jedem Schlafwagen auf dem HB Zürich sehnsüchtig nachschauen. Ich wunderte mich die ganze Zeit, wie ruhig – abgesehen von den Kindern – es in diesen Wagen war. Alkoholkonsum ist nur im Restaurant erlaubt. Gut, es ist Herbst und nur solche, die müssen oder Verrückte wie wir, fahren jetzt auf dieser Strecke. Obwohl September/Oktober ideal sind, im Sommer ist es viel zu heiss. Als wir vor 4 Jahren hier waren, zeigten die Thermometer Ende Juli 35 Grad!

Morgen früh um 6.20 h kommen wir in Irkutsk an und dank der weisen Voraussicht von Crystal Travel ist auch schon ein frühes Check-In gebucht. Mal schauen, was uns erwartet, angekommen am Sehnsuchtsort der letzten 4 Jahre – ich gebe zu, ich habe einige davon, aber keiner liegt so viele Tagreisen von Zuhause entfernt! Ich werde die zwei Tage noch in vollen Zügen geniessen, im vollen Wissen, dass nächstes Jahr keine Sehnsüchte mehr befriedigt werden, sondern nur ein «Plansoll» erfüllt wird (einmal um die ganze Welt, letzte Etappe im April/Mai) Man mag denken, ich sei verrückt, aber es ist einfach mein Ziel. Dafür verpasse ich das hochgelobte Bali, Myanmar, Südafrika, Namibia und was sonst noch alles so hoch im Kurs steht, aber mein Konzept verfehlt!

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our itinerary (with stops):
Moskau – Jekaterinburg – Novosibirsk – Irkutsk

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