Die Liegestühle beim Bungalow

Sie sah aus wie ein Mann, sowohl im Gesicht wie in der Kleidung. Sie machte kein grosses Aufhebens, als wir uns nach einem Bungalow erkundigten. Auch nicht, als wir uns nach Stühlen und einem Tisch für den Balkon fragten. Sie sagte, sie hätten keine.

Dabei war doch von unserem Bungalow aus die Sicht auf den Fluss, auf die Brücke mit den vielen wehenden Fähnchen und vor allem auf den verheissungsvollen Tempel oben in den Hügeln atemberaubend. Im Inneren des Tempels sind auf mehreren durch einen Rundgang verbundenen Ebenen viele sehenswerte Kunstgegenstände aus der buddhistischen Kultur ausgestellt, die uns staunen liessen.

Das Paar im Nachbarhaus vernahm offensichtlich unser Anliegen. Die Frau aus Dänemark brachte uns zwei Liegestühle. Wir kamen ins Gespräch. Ihr Mann und sie hätten das Nachbarbungalow gekauft und kämen regelmässig hierher nach Thaton im Norden Thailands. Die Vermieterin heisse Dudi und sei inzwischen so etwas wie ihre Tochter geworden. Ihre Lebensgeschichte hätten sie und ihren Mann dazu bewogen, sich dieser Frau etwas anzunehmen.

Dudi, deren eigentlicher Name bestimmt sehr lang und für uns unaussprechbar scheint, ist von Beruf Baumeisterin. Dies klingt nun ungewöhnlich für Thailand, aber Dudi baut tatsächlich Häuser – und dies mit ihren eigenen Händen. Jedes dieser wohnlichen Bungalows am Fluss hat sie selber erstellt.

Zusammen mit ihrer Lebenspartnerin hatte sie früher in Thaton ein grosses erfolgreiches Restaurant betrieben. Das lief gut, bis sich bei ihrer Partnerin eine Krebserkrankung zeigte. Sie musste ins Spital nach Bangkok, eine Tagereise von ihrem Ort entfernt. Das Restaurant wurde Freunden überlassen. Dudi zog nach dem mondänen Singapur, um dort mit ihrer Bauarbeit genügend Geld zu verdienen. Das Restaurant ohne ihre Partnerin weiterzuführen, war eine zu grosse Aufgabe.

Als es dieser in Bangkok immer schlechter ging, kam der Hilferuf; sie wollte die Geliebte an ihrer Seite haben. Dudi gab die Arbeit auf und verbrachte ganze drei Monate im Spital an der Seite ihrer Partnerin, deren Zustand sich immer mehr verschlechterte. Die Spitäler für das einfache Volk sind so minimal ausgestattet, dass die Angehörigen für das Notwendige wie Speis und Trank und Bettwäsche sorgen.

Als ihre Freundin starb, musste Dudi nebst ihrem Schmerz feststellen, dass das Restaurant von ihren sogenannten Freunden heruntergewirtschaftet worden war. Es war kein Geld mehr da; das bedeutete für sie, wieder von vorne beginnen.

Sie lernte eine neue Partnerin kennen; als etwa Geld zusammen war, haute diese mit ihrem Anteil ab nach Bangkok und ward nie mehr gesehen.

Dudi entschloss sich, auf der anderen Seite des Flusses ein paar Bungalows zu erstellen, um mit deren Vermietung an Touristen wieder eine Lebensgrundlage zu schaffen. Während dieser Zeit kam das Paar aus Dänemark auf ihren Reisen in diese Gegend und waren von dieser Frau beeindruckt. Als neues Baumaterial angeschafft werden oder Dächer besser isoliert werden mussten, begannen sie, Dudi das notwendige Geld zu geben; später kauften sie ihr ein Haus ab, das und inzwischen zum Ferienhaus des Paars geworden ist. So kommen sie nun regelmässig nach Thaton, geben Dudi ihre Zuwendung, ihre Unterstützung und somit Kraft und Zuversicht.

Als Dan und ich bei Sonnenuntergang in unseren Liegestühlen lagen und zu den vorbeiziehenden Wolken auf- und in den schnellen Fluss runterblickten, waren wir diesmal besonders nachdenklich. Und als wir nach ein paar Tagen den Fluss KO hinunter zur Stadt Chiang Rai weiterzogen, gehörte auch diese Geschichte zu unserem geistigen Gepäck.

Auch Thaton wird wohl nicht nur „ein Ort mehr“ auf unserer Reiseroute sein.

März 2018